07.06.2024
Südkurier: Islam-Workshop am HGWT
Wie der Alltag von Muslimen aussieht
Waldshut-Tiengen: Erster Islamworkshop am Hochrhein-Gymnasium durchgeführt. Schüler stellen Fragen zu Frauenbild und Ramadan.
Waldshut – Aufmerksam und konzentriert sind die Schüler der Klassenstufe 8 den Ausführungen des Gastes gefolgt: Es referierte Aysun Yasar, promovierte Islamwissenschaftlerin von der Universität Wien. Die diesjährige Kompaktwoche, in der neben dem regulären Unterricht auch Raum für Projekte war, bot den Rahmen für den ersten Islamworkshop am Hochrhein-Gymnasium in Waldshut. Auf Initiative der Fachschaften Ethik und Religion wurde die Professorin eingeladen. Nun stand sie im Musiksaal des Gymnasiums vor den 14-Jährigen, unter ihnen waren auch einige muslimische Schülerinnen und Schüler, und erläuterte neben aktuellen Zahlen zum Islam in Deutschland besonders auch die Herausforderungen, vor denen Muslime hier und in ganz Europa stehen.
Mehr als fünf Millionen Muslime leben demnach in der Bundesrepublik, viele sind türkische Sunniten, doch gebe es inzwischen auch andere bedeutende Richtungen, wie syrisch-arabische Sunniten oder auch Schiiten und Aleviten. Bedeutend sei dabei, dass der Islam dem persönlichen Bekenntnis größeren Wert zumesse als einer Kirchenmitgliedschaft. Insofern habe eine Kirchenmitgliedschaft nicht den gleichen Stellenwert wie im Christentum, erfuhren die Schüler. Muslim zu sein, sei vor allem eine Frage des persönlichen Glaubens und der Identität.
Dabei berichtete Aysun Yasar auch von ihren eigenen Alltagserfahrungen als praktizierende Muslimin, beginnend bei alltäglichen Erfordernissen, wie dem Einkauf für die Familie, aber auch, was die Reaktionen von Mitbürgern angehe, wenn sie als Frau in der deutschen Gesellschaft beispielsweise ein Kopftuch trage. Die Islamwissenschaftlerin sprach ebenso von den Problemen, die gerade ältere Muslime heute als akut erfahren, zum Beispiel was Pflegebetreuung, Hospize, aber auch Grabstätten angehe. In diesen Bereichen würden muslimische Befindlichkeiten oft nicht hinreichend berücksichtigt. Sie differenzierte in ihrem Vortrag zwischen den theologisch-religiösen Haltungen und kulturstiftenden Traditionen des überaus breiten Themenfelds Islam.
Durch mitgebrachte Gegenstände, wie zum Beispiel einen Gebetsteppich, verschiedene Koranausgaben und Gebetsketten, die die Schüler der Klassenstufe 8 auch selbst in die Hand nehmen durften, vermittelte Yasar anschaulich islamische Rituale. Auf Fragen der Schülerinnen und Schüler ging die Islamwissenschaftlerin gern und ausführlich ein. Eine Schülerin wollte beispielsweise wissen, was bei der Einhaltung der Fastenregeln im Islam zu beachten sei und ob auch Kinder im Ramadan fasten müssten. Andere interessierten sich für die Frage, wie frei man als Frau im Islam sein könne oder ob man als Mädchen im Islam von den Jungen bevormundet werde.
Es folgten Lernzirkel und Gesprächsrunden zum Thema in den Klassenverbänden, in denen sittliche Praktiken wie die Kleiderordnung, Halal-Regeln sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Männer- und Frauenbild nochmals thematisiert und überaus lebhaft diskutiert wurden. Die vier achten Klassen wurden dabei von den Ethik- und Religionslehrkräften Bente Jensen, Anya Hager, Susanne Kalman und Martin Dühning begleitet.
Das Hochrhein-Gymnasium ist Mitglied des Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Veranstaltungen wie diese sollen helfen, die Schülerinnen und Schüler stärker für Menschenrechte, religiöse Toleranz und gegenseitiges Verständnis zu sensibilisieren. So konnten die beiden Organisatoren, Ethiklehrerin Susanne Kalman und der Fachlehrer für katholische Religion, Martin Dühning, ein überaus positives Fazit zu dem Workshop ziehen. Beide überlegen nun, künftig jährlich zwei Vormittage zu gestalten und dabei auch noch mehr alltagspraktische Inhalte einzubauen, beispielsweise auch zu Speisen und Festtraditionen.
Zur Person: Aysun Yaşar wurde 1981 geboren und hat in Bamberg Islamwissenschaft, Politik- und Kommunikationswissenschaft studiert sowie 2012 im Fach Islamwissenschaft als Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung promoviert. Sie ist Gründungsmitglied der Interreligiösen Fraueninitiative Bamberg. Derzeit ist sie Dozentin am Institut für islamisch-theologische Studien der Universität Wien und hält Vorlesungen über Islamische Geschichte, Koranexegese und Anthropologie der muslimischen Lebenswelt.
Text: Matthias Sochor (HGWT), erschienen im SÜDKURIER am 07.06.2024